Nach der Wende

Die Wende 1989 hat in unserer Familie, speziell bei den Kindern eine große Irritation herbei geführt. Die Familienmitglieder sind in die DDR geboren worden und sind mit sozialistischen Werten und Normen erzogen worden. Wir haben gut gelebt und konnten auch mit Problemen umgehen. Für die Kinder wurde vom Staat viel angeboten, was man annehmen konnte, aber nicht mußte. Die wöchentlichen Pioniernachmittage mittwochs wurden von den Kindern gut genutzt und aktiv begleitet.

Für die älteren beiden Kinder (Mirco und Susan) war es schwer aus der sozialistischen Gesellschaft in eine kapitalistische Gesellschaft zu wachsen. Für die jüngeren beiden Kinder (Michaela und Maik) war das Wachstum in eine neue Gesellschaftsordnung entschieden einfacher.

Innerhalb der täglichen Familien-Kaffee-Runden gab es oft "heiße" Diskussionen, weil die jüngeren Geschwister z.B. die Pionierorganisation nicht kannten. Susan's Schwester kam einmal nach Hause und sagte: "Gott sei Dank bin ich nie in der Pionierorganisation gewesen und zum Glück gibt es diese heute auch nicht mehr. Sie hätte sich niemals zwingen lassen, in so eine Organisation zu gehen." Auf die Frage, warum sie veranlaßt wurde, solche Aussagen zu treffen, erzählte sie, dass die unterrichtende Lehrerin (24 Jahre alt) aus dieser Zeit berichtet hat.   Susan und Mirco waren völlig entsetzt und diskutierten sofort, dass das für sie die schönste Zeit war. Sie berichteten ihren jüngeren Geschwistern  von vielen schönen Aktionen während der Zeit der Pionierorganisation: kostenfreie Pionierlager * gemeinsame Gruppenaktionen, wie Altstoffsammeln, Tanznachmittage, gemeinsames kreatives Gestalten, Hausaufgabenhilfe, u.v.m. Nach diesen Berichten waren die jüngeren Geschwister irritiert und fragten, wem sie glauben sollen, den Lehrern oder den Geschwistern oder den Eltern.

An einem Tag war die Oma zu Besuch. Die Oma wurde in Rottweil geboren. Sie reiste in jungen Jahren viel durch die Länder und lernte in Berlin ihren zukünftigen Mann kennen. Sie entschied nicht mehr in ihre Heimat zurück zu kehren, sondern in Berlin mit ihrem Mann eine Familie zu gründen. Die Oma hat nie wieder den Wunsch verspürt, in ihre Heimat zurück zu kehren, obwohl die gesamte Familie in verschiedenen Westteilen Deutschlands lebte. Allerdings besuchte sie jährlich ihre Familienmitglieder und berichtete dort von ihrem neuen Leben im Sozialismus.

Bis zu ihrem Tod 1993 hat die Oma den Kindern erzählt, wie wohl sie sich in der DDR gefühlt und welche Vorteile das soziale System aus ihrer Sicht für die Familien hatte: kostenfreier Schulbesuch, Vorteile für kinderreiche Familien, kostengünstige Erholungsstätten für Familien, finanzschwache Familien erhielten Neubauwohnungen und mußten keine oder sehr wenig Mieten zahlen... u.v.m.

Ein großes Problem gab es 1989 - 1990 im Schulsystem: Das sozialistische Schulsystem sollte komplett geändert werden. So hatten Susan und Mirco z.B. jeweils ein Wiederholungsschuljahr, einmal nach dem Ostschulsystem und einmal nach dem Westschulsystem. Dann erfolgte ein kontinuierlicher Übergang in das neue Schulsystem. Unsere damalige Nachbarin war Lehrerin an der Schule der Kinder und berichtete völlig unglücklich, dass diese Neuorientierung für die involvierten Kinder aller Klassen - vor allem den Schulanfängern und Teenagern - riesige psychische Probleme hervorrief, unabhängig zu den Lebenssituationen der Familien durch Kostenerhöhungen, Arbeitslosigkeit ...

Ein Beispiel unserer Familie: wir haben in einer wunderschönen Neubauwohnung gelebt - 4 Zimmer mit Hobbyraum und Kammer - kleine Küche, kleines Bad, - Balkon (6 m lang). Für diese Wohnung haben wir bis zur Wende 77 Mark warm gezahlt. Nach der Wende, innerhalb von 2 Monaten kostete unsere Wohnung 1.429,00 Mark. Schock, existentielle Ängste und Panik pur in der Familie! Das war nur ein Beispiel von vielen weiteren unrealistischen Auswirkungen nach der Wende.

Susan erzählte später, dass sie oft - gerade im Westteil Deutschlands und in Griechenland - auf den Sozialismus angesprochen wurde. Dabei ging es speziell um das "schlechte System", worin die Menschen wie zur "Nazi-Zeit" gezwungen wurden bestimmte Ideologien zu erlernen, speziellen Verhalten zu zeigen, sonst hätten sie Nachteile. Dadurch wurden in der DDR die Menschen psychisch krank, instabil und würden sich suizidieren.

Europäische Menschenrechtskonvention / Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Darüber hinaus verlangt die Menschenrechtskonvention eine Rechtfertigung des Eingriffs aus Gründender öffentlichen Sicherheit und Ordnung (einschließlich der Moral,)

  • der öffentlichen Gesundheit,
  • der nationalen Sicher­heit,
  • des wirtschaftlichen Wohls des Staates,
  • der Kriminalprävention oder
  • zum Schutz der Rechte und Frei­heiten anderer.

Gerade bei den beiden älteren Kindern (Mirco und Susan) führten diese Äußerungen zu verbalen Konteraktionen. Völlig klar, die Kinder hatten andere Gegebenheiten selbst kennengelernt.

Nach der Wende gab es die ersten Aggressionen und Gewalt gegenüber Mitschülern und Lehrer. Respekt und Achtung, was die Kinder in den Pionierveranstaltungen gelernt haben, vor älteren Personen gab es nicht mehr.

Es war viel Familienzusammenhalt nötig, um den Kindern zu erklären, dass sich jetzt doch viel geändert hat und noch ändern wird. Die Cousine aus Schwäbisch Gmünd, eine sehr gute Freundin der Familie kam oft nach Berlin und blieb eine lange Zeit. Sie war sehr gerechtigkeitsliebend und hat sich oft den Kindern angenommen und damit die verzweifelten Eltern unterstützt.

Als Susan in Griechenland 2007 zu Tode kam, wurde sehr schnell von den Behörden diagnostiziert "... Suizid, das hat der ehemalige Lebens-Partner in Griechenland gesagt...". Diese Aussage hat ausgereicht, damit in dem Todesfall nicht ermittelt wurde. ... --> Dazu mehr auf den entsprechenden Seiten dieser Webseite!